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Verantwortlich für das Dissertationsprojekt: Amir Hamid, M.A.
Finanzierung: Humer-Stiftung für akademische Nachwuchskräfte
Projektdauer: September 2010 – August 2013
Promotionskommission: Prof. Dr. Andreas Kaplony, Asien-Orient-Institut, Islamwissenschaft; Prof. Dr. Bettina Dennerlein, Asien-Orient-Institut, Gender Studies & Islamwissenschaft/UFSP Asien und Europa; Prof. Dr. Ulrich Rudolph, Asien-Orient-Institut, Islamwissenschaft
Forschungsfeld: Normen und Ordnungen
Neue Medientechnologien wie das Satellitenfernsehen und das Internet haben seit Mitte der 1990er Jahre wesentlich dazu beigetragen, in der arabischen Welt eine Öffentlichkeit hervorzubringen, die die nationalstaatlichen Grenzen transzendiert.
Das vorliegende Dissertationsprojekt hat zum Ziel, die (Neu-)Verhandlung von Wissens- und Machtfragen um das islamische Recht (Scharia) und die Normen muslimischer Lebensführung in dieser transnationalen Öffentlichkeit zu untersuchen.
Sein Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf den medialen Auftritten und Publikationen des ägyptischen Rechtsgelehrten Yusuf al-Qaradawi, der sich in den vergangenen Jahren durch seine zahlreichen Buchveröffentlichungen, seine Beteiligung an wichtigen islamischen Webseiten wie islamonline.net, seinen Vorsitz am European Council for Fatwa and Research und vor allem durch seine regelmässigen Auftritte im arabischen Satellitensender al-Jazeera als zentrale Autorität in dieser transnationalen Öffentlichkeit positioniert hat.
Die vergleichende Untersuchung von al-Qaradawis Buchpublikationen sowie seiner Auftritte im Internet und im Satellitenfernsehen erfolgt aus drei Perspektiven:
Erstens sollen die spezifischen diskursiven Traditionen herausgearbeitet werden, die in al-Qaradawis Aushandlung islamischer Normen zum Tragen kommen. Hier stehen die textlichen Grundlagen sowie die diskursiven Regeln und Praktiken muslimischer Normfindung im Zentrum der Untersuchung.
Zweitens soll die Frage untersucht werden, welche Rolle in diesen Aushandlungsprozessen die Auseinandersetzung mit den Diskursen nicht-islamischer Akteure einnimmt: transnationaler Organisationen, staatlicher Einrichtungen oder dem „Westen“.
Drittens sollen anhand des systematischen Vergleichs der Medien und Materialitäten, in denen diese Aushandlungsprozesse stattfinden, - der Schriftlichkeit des Buches, der Körperlichkeit und Mündlichkeit im Medium des Satellitenfernsehens und dem Zusammenspiel dieser Formen im Internet - die Strategien der Aneignung und des Gebrauchs dieser Medien wie auch die Rückwirkung ihrer medialen Eigenlogik auf diese Aushandlungsprozesse herausgearbeitet werden.
Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf zwei Themenbereiche, die ich im Lauf meiner bisherigen Analyse festgelegt habe: Geschlecht und Extremismus.
In der Untersuchung dieser Fragestellung werden die philologischen Instrumente der Islamwissenschaft mit einer an Foucault orientierten und durch den Medialitätsbegriff (Chartier/Génette/Sarasin) erweiterten Diskursanalyse verknüpft, die die spezifische Materialität des Quellenmaterials in den Fokus rückt. Insbesondere in der Analyse des audiovisuellen Mediums Fernsehen haben sich die Beiträge der arabistischen Soziolinguistik zur arabischen Rhetorik wie auch performanztheoretische Ansätze als fruchtbare Zugänge erwiesen.
Das Projekt zeigt einerseits die kreative Aneignung wie auch die komplexe Verflechtung zwischen islamischen Diskursen und den Diskursen nicht-islamischer Akteure in der muslimischen Aushandlung von Normen zu Geschlecht und Extremismus auf. Andererseits ermöglicht die systematische Nebeneinanderstellung unterschiedlicher Formen muslimischer Wissensvermittlung - des Buches, des Satellitenfernsehen und des Internets - neue Einblicke in eine Wissenskultur, in der die Verkörperung des geschriebenen Wortes eine zentrale Rolle spielt. Damit soll ein spezifischer Beitrag zum philologischen Fach der Islamwissenschaft, in der sich das vorliegende Projekt positioniert, und ihrem Verständnis muslimischer Wissenspraktiken geleistet werden.