Abstract
- "The elephant steamer" - eine der zahlreichen gebräuchlichen Marken im Handel mit europäischen Textilien in Südostasien
Meine Arbeit behandelt die Geschichte von Schweizern, die im Rahmen
der ersten Globalisierung von Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur
Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre in Südostasien tätig waren und
einer Tätigkeit in Handel, Plantagenkultur und angewandter
Wissenschaft nachgingen.
Die Untersuchung geht von folgender Fragestellung aus: Wie
partizipieren Personen aus der Schweiz an der kolonialen Wirtschaft
und Gesellschaft in Südostasien und welche Rolle spielt ihre
schweizerische Nationalität dabei?
Mit dieser Fragestellung werden die vielschichtigen und dynamischen
Prozesse von Zugehörigkeit und Identifikation angesprochen. Schweizer
sind als weisse Europäer Teil des kolonialen Systems und mithin an
der Ausarbeitung der Regeln in diesem System beteiligt; als
Angehörige einer Nicht-Kolonialmacht versuchen sie, eigene Netzwerke
zu etablieren und sich als Scharnier zwischen den Briten und
Niederländer zu positionieren; und individuell verfolgen sie
Karrieren, die auf ihr Herkunftsland hin orientiert sind. Die
Tätigkeit von Schweizern steht somit im Spannungsfeld zwischen
individuellen Aufstiegschancen, Partizipation am kolonialen System
und der Etablierung von nationalen Netzwerken. Im transnationalen
Wirtschaftsraum zwischen Singapur, Penang und der Ostküste von
Sumatra gelingt es Schweizern besonders gut, den Ansprüchen
disparater Rollen gerecht zu werden.
Die Arbeit trägt zu einer Globalgeschichte aus Schweizer Sicht bei,
indem sie migrations- und wirtschaftsgeschichtliche Ansätze verbindet
und Quellen aus Archiven der Kolonialmächte und in Südostasien in die
Untersuchung einbezieht. Sie schliesst eine Lücke in der Schweizer
Migrationsgeschichte. Die Geschichte von Schweizern in Asien ist
generell wenig und in Südostasien kaum bearbeitet. Da die
südostasiatischen Länder keine Siedlungskolonien (wie die USA,
Brasilien oder Australien) waren, ist die Migration dahin stark auf
die Rückkehr ausgerichtet. Schweizer in Südostasien verstehen sich
eher als 'im Ausland Lebende' denn als Auswanderer. Die Untersuchung
arbeitet die Wirkungsweise des Migrationsentwurfs 'im Ausland Leben'
und die damit verbundenen Haltungen gegenüber dem Zielland und
Institutionen der Identitätsbildung heraus und leistet damit einen
Beitrag zur terminologischen Schärfe in der Migrationsgeschichte.
In wirtschaftshistorischer Hinsicht fokussiert die Arbeit auf
Schweizer Kaufleuten in ihrem kolonialen Umfeld, und versucht damit
ein Blick von aussen auf die Schweizer Volkswirtschaft aus der
Perspektive dieser wichtigen Gruppe zu werfen. Gleichzeitig versucht
die Arbeit ein Selbstverständnis von Schweizer Kaufleuten, das mit
dem Migrationsentwurf 'im Ausland Leben' in Verbindung steht,
kritisch zu hinterfragen: Die Schweizer Wirtschaft ist überall auf
der Welt präsent, Schweizer sind nicht für die Regeln in der Welt
draussen verantwortlich, und die Welt draussen hat keine Auswirkungen
auf die Denk- und Lebensweise von Schweizern im Ausland. Durch die
Verbindung von Migrationsgeschichte und Wirtschaftsgeschichte und
durch den Einbezug von Quellenmaterial in ausländischen Archiven wird
dieses Selbstverständnis hinterfragt und damit die
Migrationsgeschichte näher an die Schweiz und die
Wirtschaftsgeschichte näher zu Südostasien gebracht.
Schliesslich antwortet die Arbeit auf aktuelle Fragestellungen der
'Global Governance'. Die Schweiz war keine Kolonialmacht. Und gerade
deshalb ist das Verhalten von Schweizer Migranten und Unternehmen in
Kolonialgebieten strukturell moderner angelegt. Die Arbeit untersucht
im Detail betrachtet, wie Schweizer mithin an der Ausarbeitung von
Regeln und in die koloniale Praxis involviert waren. Die Netzwerke
von Schweizern im kolonialen Südostasien haben ihre Wurzeln im
Milizsystem, sind insbesondere in ihrer Funktion als Drehscheibe für
die Schweizer Wirtschaft von Bedeutung und finden im Konsularwesen
ihre offizielle Anbindung an die Schweiz. Damit leistet die Arbeit
generell einen Beitrag zur Diskussion über die Stabilität von
sozialen und unternehmerischen Netzwerken.
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