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Verantwortlich für das Postdoc-Projekt: PD Dr. Simone Müller (Habilitation 2012)
Finanzierung: UFSP Asien und Europa
Projektdauer: März 2006 – Februar 2009
Anfang der 20er Jahre, ausgelöst durch das Erstarken des Marxismus nach der russischen Oktoberrevolution und der daraus hervorgehenden proletarischen Literaturbewegung (puroretaria bungaku undō) entstand in Japan ein Diskurs über die Rolle des Intellektuellen in der Gesellschaft und seinem Verhältnis zum "Volk", welcher unter dem Namen Chishiki kaikyū ron (nach 1945 Chishikijin ron) bekannt ist. Angeführt wurde der Diskurs in erster Linie von marxistisch orientierten Kritikern und Literaten, die sich Fragen nach der Verantwortung der Literatur in der Gesellschaft und der diesbezüglichen Rolle der Intelligenz stellten. Der Diskurs wurde insbesondere nach den Massenbekehrungen (Tenkō seimei) zahlreicher Marxisten nach 1933 neu entfacht und führte im literarischen Feld zur so genannten Aktionsliteraturdebatte (Kōdō shugi bungaku ronsō), bevor der Diskurs nach 1939 vollkommen zum Erliegen kam, um nach 1945 dafür umso heftiger weitergeführt zu werden: Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs brachte nach 1945 eine Generation von, meist marxistisch orientierten Intellektuellen hervor, welche nach ihrer eigenen Kriegsschuld und nach individueller Verantwortung in der Gesellschaft fragte. In Japan waren es vor allem Literaten, die sich dieser Frage annahmen und die Verantwortung der Literatur in einer modernen Gesellschaft betonten. Die wieder gewonnene Pressefreiheit in Japan und die rasche Ausbreitung der Medien erlaubte den Schriftstellern einen zeitgleichen intellektuellen Informationsaustausch auf globaler Ebene. In dem von linken Romanisten angeführten literarischen Feld Japans richteten die Schriftsteller auf der Suche nach intellektuellen Modellen ihren Blick insbesondere nach Frankreich. In der Résistance-Literatur und dem nachkriegszeitlichen, von Sartre postulierten Konzept der "littérature engagée"” (jap. Angājuman no bungaku), entdeckten sie ein intellektuelles Ideal und Vorbild für ihre eigene Literatur und transformierten dieses Modell auf japanische Verhältnisse. In der japanischen Nachkriegszeit entstand somit ein politisch engagierter und sozialkritischer Typus des intellektuellen Schriftstellers, der dem Konzept des französischen Intellektuellen in vieler Hinsicht ähnelt, und der sich in seiner Selbstdefinition stark am Sartre'schen Engagementkonzept orientierte. Erst in den 70er Jahren verlor dieser Intellektuellentypus in Japan seine Wirkkraft. Anhand einer Diskursanalyse von vier Haupt und vier Nebendiskursen zwischen 1920 und 1970 unter Einbezugnahme von Bourdieus Theorie des literarischen Feldes habe ich die Entwicklung, die Rolle und die Selbstwahnehmung des modernen japanischen Intellektuellen in der Zwischen- und Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts gezeichnet und ein Intellektuellenprofil der japanischen Literaten im Lichte ihrer Bezüge zum sartreschen, existentialistischen Engagementkonzept neu definiert.